Der Wechsel der Plattenfirma im Jahr 1970 brachte einen willkommenen Klimaumschwung mit sich. Andrew Lauder war damals Chef der A&R-Abteilung bei United Artists und sammelte eine ungeheure Menge an Talent um sich. Waren Man bislang ein Act gewesen, mit dem die eigene Plattenfirma nichts Richtiges anzufangen wußte, so fanden sie sich auf einmal im Zentrum einer ständig größer werdenden Familie britischer und europäischer Rockbands, die alle auf ihre Art daran arbeiteten, die Grenzen des Genres zu erweitern.

Barrie Marshall hatte aber trotzdem große Probleme, halbwegs erträgliche UK-Tourneepläne für die Band zusammen zu kriegen. 1970 und 1971 waren recht magere Jahre für Man, was Auftritte in England anbelangte. Im Oktober 1970 nahm man innerhalb von zwei Wochen das erste UA-Album „Man“ auf. Anschließend ging es direkt zurück nach Deutschland, um weiter die europäischen Konzerthallen zu beackern. Deke Leonard erklärt:“Wir hatten England völlig aufgegeben. Bei den spärlichen Gigs, die wir da hatten, tauchte kaum jemand auf. Die Presse ließ sich auch nicht sehen. Die Auftrittsmöglichkeiten beschränkten sich völlig auf Cook’s Ferry Inn. Im Schnitt erschienen 15 Figuren. In Schondorf spielten wir vor 2.000 Leuten.“ Die Veröffentlichung des Albums erzählte eine ähnliche Geschichte: ignoriert in England, vergöttert in Deutschland!

1970 lineup
1970 band (L-R Deke, Martin, Clive, Terry, Micky)

Diese Situation änderte sich allmählich nach einem Auftritt beim London Week Festival im März 1971, bei dem Man allen anderen Gruppen die Show stahl. Das Ganze fand in der riesigen Deutschlandhalle statt, wo das Publikum, immerhin 6.000 Leute, zwar angesichts der Halle winzig erschien, aber völlig auf die Band abfuhr. Ansonsten spielten noch Soft Machine, Family und Yes, die alle extra eingeflogen worden waren. Obwohl alle diese Gruppen bekannter waren, blieben Man Tagessieger und überzeugten mit toller Musik und besonders durch die Entertainer-Qualitäten von Martin Ace. Terry Williams hatte sich einige Tage vor dem Festival beim Fußballspielen den großen Zeh gebrochen. Ron Howden, der Drummer von Nekter, musste noch zwei Tage vorher bei einem Gig in Darmstadt aushelfen. In Berlin war Terry zwar wieder an den Drums, ansonsten hinkte er aber noch ziemlich stark. Martin erklärte das dem Publikum und übersetzte „großer Zeh“ mit „Fußdaumen“. Deke sagte, dass Martin am Ende dieser längeren Ansage das Publikum total in der Hand hatte. Ein heißer Set von 45 Minuten folgte, der aus „Spunk Rock“,“Many Are Called, But Few Get Up“,“Romain“,“It Is As It Must Be“ und „The Storm“ bestand. Die Halle stand Kopf! Unter den Zuschauern waren zwei einflußreiche Leute: Roy Hollingworth und Barry Wentzel, ein Journalist und der Stammfotograf vom populären Musikmagazin „Melody Maker“. Schließlich zeigte die Presse also doch noch Interesse. Und Martins oft getroffene Feststellung „Unsere größte Publicity besteht darin, dass wir nie welche kriegen“ stimmte nicht mehr so ganz.

Im Sommer 1971 unternahm die Band eine 5-tägige Tour durch die Schweiz, zusammen mit den Labelkollegen Gypsy und Help Yourself. Diese „All Good Clean Fun“-Tour war ein Versuch von United Artists, den Markt in der Schweiz zu knacken. Insgesamt war sie zwar nicht besonders erfolgreich, aber immerhin entstand durch sie eine Freundschaft zwischen Man und Help Yourself, die die nächsten Jahre überdauern sollte. Außerdem sollte sie dazu führen, dass künftig kräftig Personal zwischen beiden Bands hin und her geschoben werden wurde!

1971 5-piece lineup
1971 lineup (L-R Martin, Terry, Micky, Deke, Clive)

Eine Pause während der kräftezehrenden Tourerei durch Deutschland erlaubte es der Band, in England „Do You Like It Here Now, Are You Settling In Alright?“, ihr zweites Album für UA, aufzunehmen, aber dann ging’s auch gleich wieder zurück nach Germany. Im November, als die LP erschienen war, tat sich plötzlich etwas auf dem Tourneeplan: nachdem man bislang zumeist häufig in Europa aufgetreten war, unterbrochen durch gelegentliche Auftritte in England, war’s im Dezember 1971 überraschenderweise umgekehrt. Den kompletten Monat verbrachte die Band in UK. Obwohl die Gruppe auch jetzt noch nicht regelmäßig durch das ganze Land reisen mußte ( Die Dezember-Dates zum Beispiel fanden nur in London und den beiden Heimatgrafschaften Coventry und South Wales statt.), war dies der Start zu mehr und besseren Auftritten in UK. Außerdem war es der Anfang vom Kultstatus! Die Manband war endlich in die zweite Liga aufgerückt, mit Tendenz nach oben! Deshalb war es nicht zu vermeiden, dass sich Clive John zum Ausstieg entschloß.

In den letzten 6 Monaten war Clive mehr und mehr zum Außenseiter der Band geworden. Während Konzerten verbrachte er viel Zeit in der Halle beim Publikum, und kreativ trug er auch nicht mehr viel bei. Anscheinend lag Clives Aufmerksamkeitsschwerpunkt wo anders. So war es auch keine große Überraschung, als er seine Entscheidung bekannt gab.

In einem späteren Interview mit TWC erklärte er: „Ich war völlig genervt davon, dauernd in irgendwelchen Städten aufzutauchen, wo ich gute Freunde hatte, ohne Zeit mit ihnen verbringen zu können; kurz da und schon wieder weg. Im Grunde war ich erschöpft und gelangweilt.“ Nach der Trennung von der Gruppe schmiedete er eine Allianz mit dem Ex-Eyes Of Blue und Piblokto-Keyboarder Phil Ryan und mit Ex-Quicksand-Bassist Michael „Will“ Youatt, in der Absicht, eine Band mit dem Namen Iorwerth Pritchard And The Neutrons zusammen zu stellen. Dieser Bandname war die Schöpfung von Roadie und „Bühnenerzähler“ Vivyan „Spiv“ Morris. Obwohl die Gruppe nie in der ursprünglich geplanten Form aus den Startlöchern kam, so sollten die musikalischen Partnerschaften bald eine viel größere Rolle für die weitere Entwicklung der Manband spielen als irgend jemand zu diesem Zeitpunkt erwartet hätte.

1971 4-piece lineup
1971 four piece (L-R Deke, Terry, Martin, Micky)

In der Zwischenzeit machte die Manband zu viert weiter und spielte viele Gigs in und um London, mit gelegentlichen Abstechern in größere Entfernungen wie z.B. nach Glasgow, Newcastle, Bridlington und Brighton. Der große Schritt nach oben bestand darin, dass die Gruppe statt in Pubs und Clubs jetzt in Universitäten, Schulen und Theater- und Stadthallen auftrat. Die Besucherzahlen nahmen zu und die Aufmerksamkeit der Presse ebenso, dank der Bemühungen von Roy Hollingworth und Barry Wentzel, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Band allen wärmstens ans Herz legten. Obwohl die Gruppe in dieser Vierer-Besetzung nie ein Studioalbum aufnahm, erschienen zwei „Limited Edition“-Live-Alben, „Greasy Truckers Party“ und „Live At The Padget Rooms“. Beide zeigten, dass die Band nicht die geringste Absicht hatte, die Dinge langsamer anzugehen.

Die Situation blieb aber nicht lange so. Micky und Terry hatten die Verbindung zu den künftigen „Neutrons“ gehalten und dabei einige Gemeinsamkeiten zu der unterschiedlichen musikalischen Richtung entdeckt, an der Phil Ryan und Will Youatt arbeiteten. In einem späteren TWC-Interview erinnert sich Will Youatt: „Eines Tages erwähnte irgendwer, dass die Manband zuhause in Swansea wäre. Also fuhren wir zur Hanover Street, wo Terry und Martin wohnten. Wir kamen rein und Martin saß da, die Hand war mit ungefähr 10 Stichen genäht, und Terrys Kopf war auch mit vielen Stichen genäht. Sie hatten in der Nacht zuvor in einem lokalen Jazz-Club kräftig Prügel bezogen. Martin konnte überhaupt nicht mehr spielen, und Terry hatte diese gräßlichen Kopfschmerzen, weil ihm einer mit einer Flasche auf den Kopf gehauen hatte! Wie auch immer, die gesamte Anlage war im Haus aufgebaut. Also machten ich, Phil, Deke und Micky eine Session. Phil legte auf dem E-Piano los, ich stieg mit dem Bass ein und dann ging’s ab! Ich sag‘ Dir was...das waren die 20 aufregendsten Minuten...es rockte tierisch. Micky ist ziemlich schlau und erkennt eine gute Sache, wenn sie ihm begegnet. Der dachte wahrscheinlich, aber hallo...“

1972 lineup
1972 band (L-R Micky, Will, Clive, Terry, Phil)

Als Martin bekannt gab, dass er Man verlassen wollte, um mehr Zeit mit seiner Frau George zu verbringen und mit dieser eine neue Gruppe, die „Flying Aces“, zu gründen, war die Zeit reif für einen radikaleren Wechsel. Das neue Line-Up würde aus Micky Jones (guitar, vocals), Will Youatt (bass, vocals), Clive John (guitar, vocals), Terry Williams (drums, vocals) und Phil Ryan (keyboards, vocals) bestehen. Terry teilte diese Neuigkeit Deke Leonard mit, der es natürlich als letzter erfuhr. „Das war der Moment der Wahrheit,“ erinnert er sich. „Wenn keine andere Band mich haben wollte, müsste ich einen richtigen Job annehmen. Es lief mir eiskalt den Rücken runter.“ Andrew Lauder lieferte die Rettung für Leonard in Form eines Solo-Deals, der letztendlich drei Alben und ausgedehntes Touren zur Folge hatte. Als er nach Swansea zurückkehrte, stellte Deke fest, dass seine Ehe mit Fran nur noch aus einem Dauerstreit bestand. Er machte sich aus dem Staub, in die Durham Road, East Finchley in London. Dort wurde er Ehrenmitglied von Help Yourself, als Aushilfe für den kränkelnden Malcolm Morley, der zu der Zeit einen seiner regelmäßig wiederkehrenden Anfälle von Depression durchlitt.

Will and Clive
will and clive

Manager Barrie Marshall wurde von der Neuigkeit über den Split völlig überrascht, und Man fuhr zurück nach Deutschland, um zu sehen, wie ihr größtest Publikum reagieren würde. Zuvor wurde in Rossili einige Tage lang geprobt. Barrys Befürchtungen entbehrten jeder Grundlage. Das alte Line-Up war gut gewesen, aber das neue auch, und die deutschen Fans liebten die Band. Die Aufnahme von Ryan und Youatt brachte etwas zu Man, was Will als „ein magischeres und leichteres Gefühl“ beschreibt. Die neuen Songs waren Klassiker, und das Album, das dieses Line-Up produzierte, exzentrischerweise „Be Good To Yourself At Least Once A Day“ betitelt, bleibt ein Höhepunkt in der Karriere der Gruppe. Dann zog Clive mal wieder den Stecker raus und verließ die Gruppe. Und diesmal kam er nicht zurück. Man machten drei Monate zu viert weiter und rekrutierten dann während der Aufnahmen zu ihrem nächsten Album „Back Into the Future“ den erst 19-jährigen Gitarristen Alan „Tweke“ Lewis als Ersatz.

Tweke was schon Fan, bevor er Gitarrist bei der Gruppe wurde. Und 1991 hatte er noch angenehme Erinnerungen an seinen kurzen Anteil der Geschichte: „...sie wurden von ihrem Publikum bedrängt, das erwartete, von dieser Musikmaschine andauernd weiter und weiter gebracht zu werden. Ihr müßt Euch vorstellen, dass eine ganze Menge Man-Music das Ergebnis von Marijuana-Konsum war, während es einen Haufen Leute gab, die beim Zuhören nicht unter dem Einfluß von dem Zeug standen und die dann auch nicht so richtig verstanden, was da eigentlich abging. Wenn Du aber total stoned warst und dann auf den Groove eingestiegen bist, konntest Du einfach nicht glauben, wohin die Reise ging.“

1973 Rainbow Ticket
10th October 1973 Rainbow Ticket Stub

Das neue Album wurde im Rahmen einer ausgedehnten landesweiten Tour aggressiv promoted. Langzeitfan Stephe Barstow erinnert sich besonders gern an einen bestimmten Tag; „Zum ersten Mal traf ich die Band am 19. Oktober 1973 beim Gig in der Exeter Universität während der Up For The Day-Tour. An diesem Abend bestand das Billing aus Man, Iceberg, Vivyan Morris und John St. Field (,der jetzt als Jackie Leven bekannt ist – nicht wenige Man-Fans stehen letztendlich auf ihn als Ergebnis eben dieser Tour). Wie auch immer, ein Kumpel kam von Plymouth hoch und zusammen gingen wir nachmittags schon zum Auftrittsort und bemerkten, dass gerade ein Truck entladen wurde. Einer der Roadies brüllte rüber zu uns und fragte, ob wir für Free-Tickets ausladen helfen wollten....da gab’s kein Zögern, kann ich Euch sagen.“

„Als wir mit dem Ausladen fertig waren, mußten alle auf die Ankunft des zweiten Lasters warten (Damals war so ein Konzert ein Mammutunternehmen!). Die Roadies begannen auf der Bühne zu jammen – einer spielte Gitarre, zwei Schlagzeuger und Keyboards. Es war nicht übel – Jeff und Foster sind zwei von den Namen, die mir noch einfallen. Einer von den Roadies spielte früher bei Quicksand (eine von Will Youatt's ehemaligen Bands). Nachdem der zweite Laster entladen war, sollten wir die Beleuchtung sortieren – als Man später auf der Bühne war, wurde uns klar, dass wir das gründlich vermasselt hatten. Wir gingen auf ein paar Drinks in die Garderobe, bis die Bands eintrafen. Insgesamt waren dort 12 bekiffte Waliser und ein Schotte zusammen in einem Raum mit Viv Morris, der mit einem falschen Penis irgendwelchen Unsinn anstellte. Worüber wir uns unterhaltenhaben? Nicht die leiseste Ahnung!“

1973 lineup
1973 (L-R Micky, Terry, Tweke, Will, Phil)

„John St. Field eröffnete mit einem kurzen Set, dann kam Morris und rezitierte den „Little Left Hand Missionary“-Monolog. Anschließend brachte er einige Nummern zusammen mit Martin, Phil, Tweke und Dave Charles als Backing-Band. Martin und Dave blieben gleich auf der Bühne und spielten mit Iceberg. Danach kam Viv wieder zurück, um eine Ersatzband anzukündigen . Man waren nicht rechtzeitig eingetroffen, deshalb spielte stattdessen...MAN, witzelte er. Ich erinnere mich, dass Man ca. 2 Stunden lang spielten. Dann kam erneut Viv und teilte der Menge mit, dass Iceberg und Man nach einer kurzen Pause gemeinsam jammen würden. Es gab eine aufregende 30-Minuten-Version von „Spunk Rock“, bei der alle 12 auf der Bühne waren (möglicherweise auch der eine oder andere Roadie). Der Rest meiner Uni-Zeit war eine Anti-Climax.“

Was brauchte man für ein „Mammut- unternehmen“? Zwei Ford D300-Trucks transportierten auf dieser Tour die Anlage über Land, daneben gab es einen Mercedes-Bus mit 35 Sitzplätzen für den Transport der Band. Die Road Crew bestand aus Phillip Foster (Personnel Manager!), Jeff Hooper (Sound Mixer), Carl Evans (Licht-Techniker) und Tam Smith (Bühnen-Manager). Die PA war ein 2000 Watt JBL-System, von Ground Control ausgeliehen, mit einem 24-Kanal-Alice-Stereomischpult und Power-Verstärkern von Crown. Die Lautsprecher waren ein Mix aus 15“ und 10“ Einheiten mit Electrovoice-Hörnern und Hochtönern. Die Mikros stammten von KG und Electrovoice. Die PA stand unter den wachsamen Augen von Mick Hince, Robin Mayhew and Willie Palino.

Obwohl es innerhalb der Band so viel kreatives und musikalisches Potential gab, gab es auch dauernde Spannungen auf persönlicher Ebene. Phil und Will machten stets Kompromisse, indem sie ihre Jazz/Rock-Ambitionen zugunsten der Kontinuität unterdrückten. Und Micky hatte Deke Leonard vor der Tour unter vier Augen gestanden, dass er „keinen Bock mehr habe, in der Phil Ryan Band den Gitarristen zu machen“. Manager Barry Marschall nahm die wachsende Aufmerksamkeit der Kritiker und den damit einhergehenden finanziellen Erfolg wahr, -endlich lief mal was für die Band- aber er bemerkte auch sehr deutlich die kaum noch unterdrückte Feindschaft, die das langsam alles wieder kaputt zu machen drohte. Als Reaktion darauf sorgte er mit einer hektischen Gigliste dafür, dass die Band permanent zu tun hatte. Dahinter stand die Befürchtung, die Band würde sich auflösen, hätte sie mal einen Tag frei. Während der 24 Konzerte im Oktober ging’s von Glasgow nach Hastings und von Liverpool nach Hull. Es blieb keine Zeit zum Komponieren, keine Zeit zum Experimentieren und schon gar keine Zeit zum Ausruhen. Die Spannungen wuchsen aber während der Tour beständig und als diese wegen Weihnachts-Pause vorbei war, ging die Band sofort hoch wie ein Pulverfaß. Ein Band-Meeting, das man einberufen hatte, um die Probleme zu klären, führte zum genauen Gegenteil. Deke schilderte die Ereignisse in seinem 1996 erschienen Buch „Rhinos, Winos & Lunatics“: “Barry und Andrew reisten aus London an und beriefen das Meeting ein. Phil sprach als erster: „Ich und Will steigen aus und gründen die Neutrons“, sagte er und stürmte raus. Vorbei das Meeting. Vorbei mit der Band. „Ich war völlig platt“, sagt Will. „Ich hatte nie was zu sagen. Tweke genauso wenig. Terry schnallte gar nicht, was überhaupt abging und Micky hatte schon die nächste Manband zusammengestellt. Und ich war auf einmal ein Neutron.“

1974 5-piece lineup
1974 (L-R Deke, Terry, Malcolm, Micky, Ken)

Schnell hatte der Staub sich wieder gelegt und Micky und Terry reformierten die Manband mit Deke, Ken Whaley am Bass und Malcolm Morley an Keyboards und Gitarre. Beide Newcomer hatten sehr eng mit Leonard bei Help Yourself und Iceberg zusammengearbeitet. Eigentlich konnte niemand sagen, welche Band sich eigentlich welcher angeschlossen hatte. Das erste Album dieser neuen Besetzung hieß „Rhinos, Winos and Lunatics“. Es wurde im Februar 1974 geschrieben und aufgenommen. Nebenbei fand in diesem Monat auch noch eine kurze Tournee durch England statt. Im März unternahm die Gruppe ihren ersten USA-Trip, als Support für „Hawkwind“ auf der „The 1999 Party Tour“. Deke Leonard erinnert sich an diese als die „Space 1999“-Tour. Sie dauerte 5 Wochen und der amerikanische Zweig von United Artists hielt sich ziemlich zurück, was Unterstützung betraf. Trotzdem war das Ganze ein relativ großes Ding. Zu den Höhepunkten gehörte ein Wohltätigkeitskonzert für Timothy Leary –der saß damals im Knast- an der University of Clifornia Berkeley. Heimlich hatte man eine Telefonleitung in Learys Zelle gelegt, und als er anrief, konnte das Publikum das über die PA hören. Das Konzert in Chicago wurde aufgenommen und auf dem mittlerweile offiziell erschienen Bootleg „The 1999 Party Tour“ veröffentlicht. In Atlanta bekam Deke Leonard die Chance, einige seiner Helden von Quicksilver Messenger Service live zu sehen. Die Enttäuschung war allerdings groß, weil John Cipollina nicht dabei war. In Nashville checkte die Band in ein Holiday Inn ein und übersah dabei die Güterbahnhöfe der Rock Island Line. Außerdem entging sie nur knapp einem Tornade, der das gesamte Hotel in Trümmer legte.

1974 Rhinos Tour programme
1974 Rhinos Tour programme (front) 1974 Rhinos Tour programme (back)

Als die Tour vorbei war, reiste Malcolm Morley sofort nach England zurück, während der Rest der Band in New York einige freie Tage zum Sightseeing nutzte. Es gab Befürchtungen, dass Malcolm unglücklich war und über einen Ausstieg nachdachte. Tat er aber nicht! Die erfolreiche US-Tour wurde belohnt mit 5 Tagen in der Schweiz, zusammen mit den Familien. Malcolm erinnert sich noch an den ersten Song des ersten Gigs in Zürich: „Aus Gründen, die ich selbst am besten kenne, ist die erste Gesangsnote von „Blown Away“ –„We’re living in a dust bowl“- ziemlich hoch. Stellt Euch das mal vor. Die Band ging auf die Bühne, unser Anhang, Ehefrauen, Freundinnen, Roadies, Personal Managers usw. versammelte sich erwartungsfroh davor. As ich den ersten Ton anstimmte, beschloß meine Stimme ohne mich zu fragen ein spektakuläres Kunststückchen in Sachen Elastizität vorzuführen. Sie kletterte mehrere Oktaven hoch bis zu einem furchterregenden Pfeifen, ging dann in einer Schleife wieder nach unten, brach ab und endete in einem Jodler – merkwürdigerweise völlig passend im Heimatland des Jodelns. Unserem Tourmanager Phillip Foster und unserem kompletten Anhang klappten vor Verwunderung die Kinnladen runter. Als ich das sah, drehte ich mich instinktiv zum Rest der Band um, mit einem wahrscheinlich nicht zu übertreffenden Ausdruck des Entsetzens auf meinem Gesicht. Alle wandten sich gleichzeitig von mir ab! Einige unterdrückten nur mühsam schallendes Gelächter, andere, z. B. Leonard, platzten laut raus. Ich wetzte zum Mikro zurück, um weiterzusingen „...living in a dustbowl“ . Als ich bei der Zeile „All our friends will soon be blown away“ angekommen war, fing ich selbst auch zu kichern an, und „Blown Away“ verwandelte sich langsam in einen Ausbruch zügelloser Heiterkeit.

3rd May 1974 - Terry Williams
Caley Cinema - Edinburgh
terry williams 1974 edinburgh caley cinema

Natürlich war’s für die Fans auch nicht immer einfach. Nick Brand zog am Abend des dritten Mai 1974 los, um sich die Band im Caley Cinema in Edinburgh anzuhören. Der Trip erwies sich als ziemlich ereignisreich. „Sechs von uns aus Fife fuhren am frühen Abend in einem alten Renault 4 los. Norrie Nicol war der Fahrer, ich saß auf dem Beifahrersitz. Auf dem Rücksitz waren John Harrower,Charlie Kilgour und Ian Blyth. Meine Schwester Diane hatten wir in den Zwischenraum zwischen Rücksitz und Hecktür verfrachtet. Heutzutage käme man mit sowas nicht mehr durch, aber damals krähte da kein Hahn danach.“

Micky Jones
micky jones 1974 edinburgh caley cinema

Auf der Küstenstraße zwischen Burntisland und Aberdour auf dem Weg zur Forth Bridge Road gibt es einen steilen Hügel mit einer 90°-Linkskurve auf dem halben Weg nach unten, die in der Gegend als Mains Brae bekannt ist. Norrie hatte das Auto am Vortag erst au s der Werkstatt geholt und es schien gut zu laufen., aber als wir den Hügel runterrollten, bemerkte ich, dass er immer und immer wieder auf die Bremse trat, ohne dass sich was tat. Er sah mich an, ich schaute zurück, schnappte mir die Handbremse und sagte: „Du lenkst...“

Deke Leonard
deke leonard 1974 edinburgh caley cinema

„Die Handbremse kam mit einem „Pling“ ganz weit hoch und damit hatten wir gar keine Bremse mehr. Norrie bekam das ziemlich gut hin. Wir fuhren auf zwei Rädern durch die Kurve, landeten aber auf der falschen Straßenseite und schlingerten wild. Ein anderer Wagen fuhr gerade den Hügel hoch und Norrie brachte uns zurück auf die linke Straßenseite. Die Räder gruben sich ein und wir kippten um. Ich erinnere mich daran, dass ich mit dem Kopf nach unten im Sicherheitsgurt hing und sah, wie das Dach eingedrückt wurde und überall Funken rumflogen. Der Fahrer des entgegenkommenden Fahrzeugs, der den Rückwärtsgang reingehauen und sich schnellstmöglich in Sicherheit gebracht hatte, erzählte uns anschließend, dass wir uns drei Mal überschlagen hatten. Aber ich weiß davon nichts mehr.

Ken Whaley
ken whaley 1974 edinburgh caley cinema

Als wir auf dem Dach liegen blieben, machten wir unsere Gurte los und krabbelten raus. Bis auf 3 oder 4 Prellungen und ein paar Schnittverletzungen als Folge der zerplatzten Scheiben war uns nichts passiert. Der Benzintank war aufgerissen und sein Inhalt überall verteilt. Ich weiß bis heute noch nicht, wieso wir nicht alle lebendig verbrannt sind. Polizei und Feuerwehr erschienen auf der Bildfläche und sichteten alles. Wir schoben den Wagen (immer noch auf dem Dach) an den Straßenrand und machten uns eilig auf den Weg den Hügel runter zum Bahnhof von Aberdour. Und so erwischten wir rechtzeitig den Zug nach Edinburgh..."

Man war super an diesem Abend. Das Line-Up bestand aus Micky Jones, Deke Leonard, Ken Whaley, Malcolm Morley und Terry Williams. Aber die Fotos, die Nick schoß, waren ein bißchen unscharf – er war wahrscheinlich immer noch am Zittern. Die Setlist enthielt neben anderen Songs Blown Away, Taking The Easy Way Out und A Hard Way To Live. Nach ihrer ereignisreichen Anreise konnten Nick und seine Mitfahrer sich sicher leicht in diese Songs einfühlen!

Malcolm Morley
malcolm morley 1974 edinburgh caley cinema

Das Rhinos-Album kam raus. Eine 3-wöchige ausverkaufte England- Tour im Mai fand im Juni ihre Fortsetzung in Form einer weiteren Exkursion durch Deutschland und Holland. Nach einem Auftritt beim völlig verregneten Buxton Festival am 5. Juli gab Malcolm seinen Ausstieg bekannt. Das überraschte niemanden und die Band machte einmal mehr zu Viert weiter.

Das obligatorische Album, „Slow Motion“, wurde im Verlauf des Sommers eingeprobt und aufgenommen. Die Termine für die Sessions wurden zwischen die Tour-Aktivitäten gequetscht. In den Rockfield Studios wurde die Band häufig durch die Mätzchen der Band Foghat „genervt“. Die hatte es zwar zu etwas Erfolg in Amerika gebracht, hatten in ihrer Heimat England jedoch nichts zu bestellen. Deke’s witzige Beschreibung der Ereignisse in seinem Buch „Rhinos, Winos and Lunatics“ mag als eine Art Rache gelten.

1974 4-piece lineup
1974 (L-R Terry, Ken, Micky, Deke)

Eine zweite Amerika-Tournee wurde der Manband vorgeschlagen. Das ganze Jahr hindurch gab es deswegen ein ständiges Hin und Her und schließlich wurde die Tour verschoben. Im August fanden einige kurzfristig vereinbarte Konzerte in den Badeorten an der Südküste statt. Es folgte eine gößere Anzahl von Gig in der gewohnten Umgebung von Westdeutschland. Im September hatte die Band sonntags immer frei. Das war’s aber auch! Im Oktober gab’s 20 Dates in England, plus 3 weitere in Frankreich. Eine einwöchige Tour nach Spanien (stand selten genug auf dem Tourplan!) nahm die erste Novemberwoche in Anspruch. Die auch für November vorgesehene US-Tour wurde abgesagt und verschaffte der Band ein paar kostbare Wochen zum Erholen. Ein Auftritt beim BBC-Programm „The Old Grey Whistle Test“ im Januar 1975 erwies sich als schwierig. „Many Are Called, But Few Get Up“, der zweite Song von einem 2-Song-Set, mußte erneut aufgenommen werden, weil die Band mit dem ersten Take nicht zufrieden war. Es war das letzte Mal, dass sie bei BBC TV auftraten!

Der Februar kam und zauberte die Gruppe nach Kanada zu einer 10-tägigen Tournee als Support für die „Strawbs“. Dann kam „Slow Motion“ in den USA raus , Die Band reiste schleunigst über die Grenze und ging zum zweiten Mal in Amerika „on the road“. Auch bei dieser Tour gab’s einige erwähnenswerte Ereignisse. Zu Anfang geriet alles aus den Fugen, als der Hauptact der Tour, REO Speedwagon, heftig mit der Polizei aneinander geriet. Deke beschreibt’s so: „Die Polizei bestand komplett aus unangenehmen, cowboyhütigen und faßbäuchigen Kreaturen in Khaki-Klamotten. Außerdem hatte jeder von denen 2 silberne Pistolen mit perlenverziertem Griff. Gelegentlich zerrten sie irgend ein armes Schwein aus dem Publikum und verpaßten ihm in aller Freundlichkeit eine Abreibung mit ihren Pistolen. Ein Schwefelgeruch lag in der Luft. Schließlich betraten REO Speedwagon die Bühne. Die Menge drängte sich an die Bühne und johlte vor Erleichterung. Der Sänger ging zum Mikro. „Willkommen beim Polizeiball!“, sagte er. Drei Polizisten schwabbelten auf die Bühne und zerrten ihn ab in Richtung Knast. Die Menge wurde ernsthaft böse und legte sich mit den Bullen an. Knarren wurde gezückt und gespannt. „Auf geht’s, meine Herren;“ sagte Barry, „ich denke, es ist Zeit für uns zu gehen.“

Ron Sanchez, der Produzent von „Call Down The Moon“ und Macher von „Donovan’s Brain“ setzt die Erzählung fort. „Als ich endlich einen Job beim Radio bekam, landete ich dort als Mitarbeiter in der Redaktion. Ich musste dauernd Schallplatten an Phil Charles verkaufen. Der legte sie einmal auf und am folgenden Tag musste ich sie für ihn weiter verkaufen! Man wurde oft gespielt, so um 74-75 herum. Ca. 1975 war Sean Donahue endgültig wieder nach San Francisco zurück gezogen, um bei KSAN zu arbeiten, und wir alle folgten. Nach kurzer Zeit brachten wir regelmäßig ein 12-stündiges Wochenend-Special, um die Stadt auf Touren zu bringen. Es war ungefähr zu derselben Zeit, als Man zurückkam. Diesmal spielten sie jedoch vor größerem Publikum. Sean’s Dad Tom fand Gefallen an der Band und sie landeten regelmäßig auf der Playlist. Ich denke, das half dabei, die Bekanntschaft mit Bill Graham zu festigen.

Die Gigs im Winterland in San Francisco am 21. Und 22. März wurden aufgezeichnet, allerdings nicht für Man, die als Support auftraten, sondern für Headliner Peter Frampton. Später erschienen sie als „Frampton Comes Alive“, eines der wenigen wirklich erfolgreichen Live-Alben. Der Gig in Berkeley am Folgetag wurde von KSAN aufgezeichnet. Diese Tapes werden vielleicht irgenwann noch mal veröffentlicht, wenn’s nach Ron Sanchez geht. Am Tag danach gab Ken Whaley seinen Ausstieg bekannt, packte zusammen und reiste ab in Richtung Heimat. Martin Ace flog zur Rettung herbei und stieg für eine Weile als Aushilfsbassist ein. Einige Rehearsal-Tage im heute verlassenen Flughafen von Sausolito bliesen ein paar Spinnweben weg, bevor die Band auf Bill Graham’s Einladung hin im April ins Winterland zurückkehrte.

Der Höhepunkt der Amerika-Tour war für die Band erreicht, als sie dem lebhaften Gitarristen John Cipollina von Quicksilver Messenger Service vorgestellt wurde! Cipollina erhielt eine Einladung nach England, wo er Man bei der nächsten UK-Tour als Gast begleiten sollte. Er nahm an und kam Anfang Mai nach London, wo er das Kommando übernahm. Die Tour dauerte einen Monat und diese Besetzung wurde im Rahmen der „West Coast Weekend“-Konzerte im Chalk Farm Roundhouse aufgezeichnet. Das Album erschien unter dem Titel „Maximum Darkness“. Cipollina kehrte nach Amerika zurück und im Juni reiste Man in Vierer-Besetzung für zwei Wochen nach Deutschland. Anschließend ging’s für eine Woche mit Hawkwind, Gong, Magma und Larry Coryell nach Frankreich. Zum Abschluss standen Ende Juli einige Dates in England an, nach denen Martin Ace wie angekündigt wieder ausstieg und zu den Flying Aces zurückging.

Damit endete auch die Zusammenarbeit der Gruppe mit United Artists.

(Übersetzt von Chris Jung.)